Samstag, 13. April 2013

Life's a Joyride

Anscheinend hatte ich einmal gemeinsam mit meinen Schulfreundinnen einen „Vampirclub“ gegründet. Diese Einzelheit meiner Biographie war mir komplett entfallen; sie wurde mir erst vor Kurzem von einer der Beteiligten ins Gedächtnis zurückgerufen. Auf die Idee mit dem Vampirclub müssen wir während der 5. oder 6. Klasse gekommen sein, als wir uns begeistert den „Kleinen Vampir“ im Fernsehen anschauten.
Wenn ich an diese Zeit denke, kommen mir ganz andere Ereignisse in den Sinn. Beispielsweise die Übernachtung in der Schule, natürlich von unserem Rektor beaufsichtigt, bei der eine Mitschülerin auf der Anlage im Musikraum laut – mit dem Regler auf 11 – „Joyride“ von Roxette spielte.
Ich fragte sie, warum sie das tue, und sie entgegnete: „Wieso, gefällt dir das Lied nicht?“
Was mich an dieser kleinen Szene so beeindruckt hat, war die Genugtuung, mit der besagte Mitschülerin das von ihr Erwartete tat. Sie war (jedenfalls fast) ein Teenager, und Teenager hören laut Musik, so ist das eben!
Ich will nicht behaupten, dass ich mich nicht bemüht hätte, das von mir Erwartete zu tun, aber ich empfand es eher als Zwang, als etwas, das ich tun musste, um meine Ruhe zu haben.
Sie hingegen strahlte dabei eine tiefe Zufriedenheit aus, so als wäre es ihr nach langem Suchen endlich geglückt, eine fundamental neue Erkenntnis zu erringen.

Samstag, 31. März 2012

Das Fernsehen ist tot und ich bin schuld

Harald Schmidt darf seine Late Night Show nicht mehr weiter machen – die Quoten sind zu mies. Aus ökonomischer Sicht ist das durchaus eine weise Entscheidung von Sat1, aber eine, die schmerzt.
Seit Schmidts Rückkehr zum alten Sender habe ich bestimmt 80% seiner Shows gesehen. Zwar waren nicht alle Ausgaben gleich gut gelungen, doch zwischendurch gab es immer wieder stellare Momente. Ein Höhepunkt war sein Dialog mit MTV-Legende Ray Cokes – das war fesselndes Fernsehen.
Was ich allerdings nicht getan habe, war, mir die Show tatsächlich im TV anzuschauen. Ich bin aufs Netz ausgewichen und habe mit AdBlock gekuckt. Sat1 hat keinen müden Cent an mir verdient.
Aber selbst wenn ich noch einen Fernseher besäße, hätte ich mir die Harald Schmidt Show nicht im TV angesehen – sie wurde einfach zu spät ausgestrahlt. Das Problem der Show ist das Alter der Fans. Als die Sendung zu Beginn der Nuller Jahre auf ihrem Popularitätszenith war, haben wir studiert – in den meisten Fällen nach der alten Studienordnung, so dass selbst für Domian um 1 Uhr nachts noch Zeit war. Inzwischen sind wir berufstätig und brauchen unseren Schönheitsschlaf.
Das Schauen im Netz wird so zur weit überlegenen Alternative. Man ist nicht mehr gezwungen, seine Tagesplanung nach dem TV-Gerät auszurichten, sondern kann Sendungen so konsumieren, wie man Bücher liest: Wann es einem gerade in den Kram passt. Instant gratification.
Allerorten beklagen sich Journalisten über diese neue Geisteshaltung. Aber warum sollte man sich ausgerechnet in der Freizeitgestaltung in Geduld üben müssen? Ich kann darin nichts sonderlich Tugendhaftes entdecken. Es geht doch um nichts Wichtiges. It’s just entertainment.
Harald Schmidt hat es selbst gesagt: Eine abgesetzte Fernsehsendung vermisst niemand.
Vielleicht kann man noch weiter gehen und sagen: Das Fernsehen wird niemand vermissen.

Sonntag, 29. Januar 2012

Mein fensterloses Kellerloch

Gemütlich ist's in meinem fensterlosen Kellerloch. Die Wände ziert eine grüngelbe Blümchentapete, und in der einen Ecke steht ein gemütliches Sofa in Altrosa, auf dem man wunderbar die Zeit vertrödeln kann. An die Decke habe ich ein himmelblaues Tuch gehängt, das die Lampe, die ein sanftgelbes Licht abstrahlt, gekonnt umrahmt. In den Regalen an den Wänden stehen meine Bücher, Bücher von Astrid Lindgren, Michael Ende und Wolfgang und Heike Hohlbein. Davor sind kleine Tierfiguren aufgestellt, vor allem Hasen und Katzen. Ein großer Teddybär liegt gegenüber dem Sofa auf dem Boden. Dahinter sitzen meine Puppe Carmen, mein Stoffhund Peter und Alf. Wenn ich auf dem weichen Teppich vor dem Sofa sitze und von den „Brüdern Löwenherz“ aufblicke, das ich gerade zum siebten Mal lese, schaue ich auf die geschlossene Tür, auf der das Poster von „Memento“ befestigt ist. Ich weiß nicht, ob ihr den Film gesehen habt. Dahinter wirbeln die Handgranaten durch die Luft. 

Donnerstag, 22. Dezember 2011

Jahreshoroskop 2012


 Tier des Jahres  2012: Das Wickert-Manati


Widder:
Tante Tine kommt zu Besuch. Sie will Walnusstorte. Bereiten Sie sich vor.

Stier:
Hören Sie dieses Geräusch? Das ist der Freiherr von Flammkuch, der auf der Burgruine Neideck Cembalo spielt. Jetzt kann Umsicht nicht schaden.

Zwillinge:
Der Bruder des Schwagers ihrer Nachbarin setzt sich auf eine Reißzwecke. Das kann Ihnen herzlich egal sein.

Krebs:
Musicals bekommen Ihrer Verdauung schlecht, besuchen Sie lieber das Kartoffelmuseum in Brillit. Die Vibes sind günstig.

Löwe:
Ihr neuester Aufreißerspruch erweist sich als nutzlos wie eine Wurst mit Wimpern. Das Glück weht durch die Zweige.

Jungfrau:
Obacht beim Restaurantbesuch: Der Eckzahn des Kellners ragt in die Suppe. Bedenken Sie die Alternativen!

Waage:
Die blasierten Sklaven des Spleens rauchen Kaugummizigaretten. Zeit auch für Sie, dem Oblomowismus zu frönen.

Skorpion:
Ein lieber Verwandter trakassiert Sie mit Vorträgen über die Tanzmusikkonferenz in Lauchhammer 1959. Sie wandern aus und werden Kellner in Grenoble.

Schütze:
Knietief stecken Sie in der Scheiße. Wenn Sie jetzt einen Pürierstab zur Hand hätten … Stellen Sie sich das mal vor!

Steinbock:
Sie werden Spongebob-Fan und lassen sich eine Ananas auf die Stirn tätowieren. Viel Spaß dabei!

Wassermann:
Sie schließen sich den Ausflügen Ihres vulgivagen Werkschorleiters an und entdecken spannende Staudenbeete. Das Glück malt einen Knoten in den Himmel.

Fische:
Auf keinen Fall mit in den Zwitterzoo gehen! Man wird Sie mit einem Oktonengleichrichter bedrohen! Spähen Sie lieber durch Schlehen! Gott, Ihnen muss man ja alles sagen!


Tier des Jahres 2012: Das Wickert-Manati

Internet-Dialoge II

Die Dude-Actionfigur


Ich gucke mir auf einem Blog die Abbildung einer Dude-Actionfigur an und kichere vergnügt vor mich hin. Cheffe kommt dazu.

Er: „Was guckst du denn da?“
Ich: „Das ist eine Figur aus dem Film ,The Big Lebowski‘.“
Er: „Ist das aus einem Film?“
Ich: „Ja. [sehr deutlich] ,THE BIG LEBOWSKI‘.“
Er: „Und den Film hast du gesehen?“
Ich: „Äh … ja.“ (Häh? Sonst würde ich mich doch wohl kaum für die Actionfigur interessieren?)
Er: „Was du alles für Filme kennst ...“
Ich: „Äh … ja.“
Er: „Und der ist mit so Figuren?“
Ich: „Nein! Der ist schon mit richtigen Schauspielern.“
Er: „Und wer spielt denn den da?“
Ich: „Jeff Bridges.“
Er: „Ach so, ist das ein amerikanischer Film?“
Ich: „Ja, sicher.“
Er: „Aha.“

Ich merke: sein Interesse ist damit erloschen. Entnervt schließe ich den Browser.

Mittwoch, 23. November 2011

Bomben in den Schuhen

In der ersten Klasse hatte ich eine Mitschülerin namens Corinna, mit der ich auch zusammen in einer Kindergartengruppe gewesen war. Eines Tages lud sie mich zum Spielen ein und ich nahm völlig naiv an. Wie hätte ich auch wissen können, dass sie mich durch die Hölle schicken würde?

Nachdem sie mir die Haustür geöffnet hatte, führte Corinna mich zielstrebig in ihr Zimmer und schloss die Tür. Dann trat sie ans Regal und zog ein Brettspiel heraus. „Das spielen wir jetzt“, sagte sie. Ernst schaute sie mir ins Gesicht. „Du musst immer machen, was ich will, ich hab nämlich Bomben in den Schuhen.“
Ich warf einen verstohlenen Blick auf Corinnas blaue Hausschuhe und schluckte. Mir war plötzlich kalt geworden.

Eine Weile beschäftigten wir uns mit den Spielsachen, die Corinna auf dem Fußboden ausbreitete. Fügsam befolgte ich Corinnas Anweisungen, bis sie aufstand, um aufs Klo zu gehen. Ich atmete tief durch. Ein Geräusch ließ mich zusammenfahren. Ich schaute mich um und sah Corinnas Mutter ihren Kopf ins Zimmer strecken. Sie lächelte mich aus sanften blauen Augen an. „Weißt du, Corinna erzählt Märchen“, sagte sie leise und zwinkerte mir zu.
Bevor ich ausreichend Zeit gehabt hatte, über ihre Worte nachzudenken, stand Corinna wieder im Zimmer. Als hätte sie geahnt, dass ihr die eigene Mutter in die Parade zu fahren versucht hatte, holte sie mit entschlossener Geste eine Spielzeugpistole hervor. Ernst schob sie mir den Lauf entgegen. „Damit kann man wirklich schießen.“ Ich deutete ein Nicken an. Ich hatte verstanden.

Nach einer weiteren Spielrunde wurde Corinna ans Telefon gerufen. Sie sprang auf und lief aus dem Zimmer. Ich hielt den Atem an: Corinna hatte ihre Hausschuhe liegen lassen! Nervös lauschte ich in den Flur: Es waren keine Schritte zu hören. Ich nahm all meinen Mut zusammen und steckte meine rechte Hand in einen ihrer Schuhe. Leer. Außer einem kleinen Knubbel an der Stelle, an der auf der Außenseite eine Naht zu sehen war. Ich überlegte. War das die Bombe? So klein, aber trotzdem effektiv? Ich rieb mir die Nasenwurzel. Lieber auf Nummer Sicher gehen.
Corinna kam zurück ins Zimmer gelaufen. „Tanja kommt gleich vorbei, los, wir gehen jetzt nach draußen.“

Tanja kannte ich vom Sehen, und es stellte sich schnell heraus, dass auch sie unter Corinnas Fuchtel stand. Das tröstete mich ein bisschen. Mit den Worten: „Ihr  wisst, was sonst passiert“, beorderte Corinna uns in die Sandkiste. Auf ihr Geheiß stellten wir uns auf den Holzrand. „Los jetzt, balancieren“, kommandierte Corinna, „ihr wisst, was sonst passiert.“ Tanja und ich sahen uns ratlos an und setzten ergeben einen Fuß vor den anderen. Nach einer Weile gelang es Tanja, sich mit einer Ausrede vom Acker zu machen, und so führte mich Corinna wieder zurück in ihr Zimmer. Dort hatte uns Corinnas Mutter eine Schale Gummibärchen hingestellt. Ich nahm es als eine Art Schmerzensgeld und langte zu.

Endlich wurde es 18 Uhr, und meine Mutter holte mich ab. Plötzlich stand sie wie ein rettender Engel im Zimmer. Mir wurde ganz warm. Corinna legte neckisch den Kopf auf die Seite, streckte meiner Mutter ihre Spielzeugpistole entgegen und sagte in ihrer allerliebsten Kleinmädchenstimme: „Kuck ma, was ich hab!“
Auf einmal fiel alle Nervosität von mir ab, und nur eine Art verwunderte Verärgerung blieb. Corinna hatte sich enttarnt. Ich war danach nie wieder bei ihr zum Spielen.


Samstag, 19. November 2011

SciFi Religion

Vor ein paar Tagen habe ich Arthur C. Clarkes „Childhood’s End“ gelesen, das mich etwas unzufrieden zurückgelassen hat. Worum geht es darin?

In den 1950er Jahren tauchen am Himmel Raumschiffe auf. Zunächst schweigen die Aliens die Menschheit an und nehmen nur Kontakt zum UN-Generalsekretär auf, den sie aber auch über ihre Absichten im Unklaren lassen. Technisch hoffnungslos unterlegen, fügt sich Homo sapiens sapiens der außerirdischen Macht, den Overlords, die ihm helfen, den Kalten Krieg zu überleben.
Mehrere Jahrzehnte später passiert endlich, worauf die Overlords seit ihrer Ankunft auf der Erde gewartet haben: Jeffrey, ein siebenjähriger Junge aus New Athens im Südpazifik, verwandelt sich in ein höheres, der Telepathie fähiges Wesen. Bald folgen ihm die übrigen Kinder überall auf dem Planeten; sie verlieren jegliches Interesse an ihrer Umgebung und ihren Angehörigen. Jetzt lüften die Overlords endlich ihr Geheimnis: Sie sind von einem höheren Wesen, dem Overmind, geschickt worden, um den Evolutionssprung der Menschheit auf eine neue Seinsebene sicherzustellen und zu überwachen. Nachdem das gelungen ist, gilt es nur noch, die übriggebliebenen, im doppelten Sinne alten Menschen zu betreuen und generell zu gucken, was weiter passiert. Schließlich zerstören die neuen Wesen die Erde, um ihre Körper zu verlassen und im Weltgeist, dem Overmind, aufzugehen.

Eine alte Frage der Menschheit: Wo geht die Reise hin? Diverse Religionen beantworten diese Frage für das Individuum: Nach dem Tod geht’s in den Himmel, die Hölle oder aber auch ins Nirwana, ins Allbewusstsein.

Seit Darwins Lehre der Evolution im Bewusstsein der Menschen angekommen ist, wird diese Frage auch im Hinblick auf die gesamte Menschheit gestelltt. Ist Homo sapiens eine Sackgasse der Evolution oder wird er sich weiterentwickeln? Schnell verlässt man bei diesen Spekulationen die rein naturwissenschaftliche Perspektive und fragt nach Bedeutung und Sinn. Die Möglichkeit „Sackgasse“ verweigert sich der Sinnfindung: Was für eine „höhere“ Bedeutungsebene kann schon erreicht werden, wenn sich nichts ändert und irgendwann Schluss ist? Buddhistisch ausgedrückt: Immer nur Samsara und dann nichts mehr.

Somit bleibt als „erlösende“ Möglichkeit nur die Weiterentwicklung zu einer neuen Spezies. Hier lauert aber schon das nächste Problem: Wenn diese neuen Wesen  eine neue Art darstellen, geht dann nicht die gedankliche Einheit, die für die Sinnfindung unerlässlich ist, flöten? Wenn sich der „alte“ Mensch nicht mehr mit dem „neuen“ Menschen identifizieren kann, wie kann er dann letzteren als seine eigene Vollendung erfahren? Vermutlich nur in der Abstraktion, und reine Abstraktionen sind nicht sehr tröstlich. (Und für den „neuen“ Menschen geht das Spiel natürlich wieder von vorne los.)

Clarke scheint sich der Problematik bewusst gewesen zu sein, denn sein „neuer Mensch“ betritt recht abrupt die Bühne und bricht recht schnell jeden emotionalen Kontakt zur „alten Menschheit“ ab, zudem sind die „alten Menschen“ zum flotten Aussterben verdammt, da tatsächlich alle Kinder ohne Ausnahme zu „neuen Menschen“ mutiert sind. Man könnte also böse formulieren, dass Clarke sich um die Darstellung des problematischsten, aber auch des interesantesten Apekts seiner Spekulationen drückt und sich stattdessen in gut abgehangene religiöse Vorstellungen von Erlösung flüchtet. Die „neuen Menschen“ sind bei ihm im wörtlichen Sinne im Nirwana.

Offensichtlich ist Clarke sehr von Olaf Stapledons „Star Maker“ beeinflusst, der 1937 erschienen ist. Während aber Stapledon seinen Ausflug ins Menschheitsnirwana als die nächtliche Meditation seines Protagonisten organisiert und so rein philosophisch bleibt, fährt Clarke schweres SciFi-Geschütz auf. Die übermächtigen Aliens, die plötzlich auf der Erde auftauchen, alles kontrollieren und ohne weitere Erläuterung in eine von ihnen bestimmte Richtung lenken, könnte er aus Robert Wise’ „The Day the Earth Stood Still“ von 1951 haben. (Ein Klassiker des SciFi-Kinos mit ganz eigenen Problemen, aber dazu ein andernmal.)

Aber warum sich die Mühe mit den Aliens und den technischen Details machen, wenn man letztendlich nur eine weitere religiöse Vision von Erlösung produziert?
Ist es überhaupt sinnvoll, die Sehnsucht nach Aufhebung des Für-sich-Seins, das ja eigentlich ein Problem des Individuums ist, auf eine ganze Spezies zu übertragen?

Um Missverständnissen vorzubeugen: „Childhood’s End“ ist sprachlich und erzählerisch gelungen. Aber ich erwarte von Science Fiction, dass sie technische und sonstige Neuerungen sowie deren Einfluss auf die Gesellschaft/Menschheit/Erde/Galaxie behandelt und sie nicht nur als Handlungselemente einsetzt, um eine alte religiöse Fabel zu erzählen.