Samstag, 19. November 2011

SciFi Religion

Vor ein paar Tagen habe ich Arthur C. Clarkes „Childhood’s End“ gelesen, das mich etwas unzufrieden zurückgelassen hat. Worum geht es darin?

In den 1950er Jahren tauchen am Himmel Raumschiffe auf. Zunächst schweigen die Aliens die Menschheit an und nehmen nur Kontakt zum UN-Generalsekretär auf, den sie aber auch über ihre Absichten im Unklaren lassen. Technisch hoffnungslos unterlegen, fügt sich Homo sapiens sapiens der außerirdischen Macht, den Overlords, die ihm helfen, den Kalten Krieg zu überleben.
Mehrere Jahrzehnte später passiert endlich, worauf die Overlords seit ihrer Ankunft auf der Erde gewartet haben: Jeffrey, ein siebenjähriger Junge aus New Athens im Südpazifik, verwandelt sich in ein höheres, der Telepathie fähiges Wesen. Bald folgen ihm die übrigen Kinder überall auf dem Planeten; sie verlieren jegliches Interesse an ihrer Umgebung und ihren Angehörigen. Jetzt lüften die Overlords endlich ihr Geheimnis: Sie sind von einem höheren Wesen, dem Overmind, geschickt worden, um den Evolutionssprung der Menschheit auf eine neue Seinsebene sicherzustellen und zu überwachen. Nachdem das gelungen ist, gilt es nur noch, die übriggebliebenen, im doppelten Sinne alten Menschen zu betreuen und generell zu gucken, was weiter passiert. Schließlich zerstören die neuen Wesen die Erde, um ihre Körper zu verlassen und im Weltgeist, dem Overmind, aufzugehen.

Eine alte Frage der Menschheit: Wo geht die Reise hin? Diverse Religionen beantworten diese Frage für das Individuum: Nach dem Tod geht’s in den Himmel, die Hölle oder aber auch ins Nirwana, ins Allbewusstsein.

Seit Darwins Lehre der Evolution im Bewusstsein der Menschen angekommen ist, wird diese Frage auch im Hinblick auf die gesamte Menschheit gestelltt. Ist Homo sapiens eine Sackgasse der Evolution oder wird er sich weiterentwickeln? Schnell verlässt man bei diesen Spekulationen die rein naturwissenschaftliche Perspektive und fragt nach Bedeutung und Sinn. Die Möglichkeit „Sackgasse“ verweigert sich der Sinnfindung: Was für eine „höhere“ Bedeutungsebene kann schon erreicht werden, wenn sich nichts ändert und irgendwann Schluss ist? Buddhistisch ausgedrückt: Immer nur Samsara und dann nichts mehr.

Somit bleibt als „erlösende“ Möglichkeit nur die Weiterentwicklung zu einer neuen Spezies. Hier lauert aber schon das nächste Problem: Wenn diese neuen Wesen  eine neue Art darstellen, geht dann nicht die gedankliche Einheit, die für die Sinnfindung unerlässlich ist, flöten? Wenn sich der „alte“ Mensch nicht mehr mit dem „neuen“ Menschen identifizieren kann, wie kann er dann letzteren als seine eigene Vollendung erfahren? Vermutlich nur in der Abstraktion, und reine Abstraktionen sind nicht sehr tröstlich. (Und für den „neuen“ Menschen geht das Spiel natürlich wieder von vorne los.)

Clarke scheint sich der Problematik bewusst gewesen zu sein, denn sein „neuer Mensch“ betritt recht abrupt die Bühne und bricht recht schnell jeden emotionalen Kontakt zur „alten Menschheit“ ab, zudem sind die „alten Menschen“ zum flotten Aussterben verdammt, da tatsächlich alle Kinder ohne Ausnahme zu „neuen Menschen“ mutiert sind. Man könnte also böse formulieren, dass Clarke sich um die Darstellung des problematischsten, aber auch des interesantesten Apekts seiner Spekulationen drückt und sich stattdessen in gut abgehangene religiöse Vorstellungen von Erlösung flüchtet. Die „neuen Menschen“ sind bei ihm im wörtlichen Sinne im Nirwana.

Offensichtlich ist Clarke sehr von Olaf Stapledons „Star Maker“ beeinflusst, der 1937 erschienen ist. Während aber Stapledon seinen Ausflug ins Menschheitsnirwana als die nächtliche Meditation seines Protagonisten organisiert und so rein philosophisch bleibt, fährt Clarke schweres SciFi-Geschütz auf. Die übermächtigen Aliens, die plötzlich auf der Erde auftauchen, alles kontrollieren und ohne weitere Erläuterung in eine von ihnen bestimmte Richtung lenken, könnte er aus Robert Wise’ „The Day the Earth Stood Still“ von 1951 haben. (Ein Klassiker des SciFi-Kinos mit ganz eigenen Problemen, aber dazu ein andernmal.)

Aber warum sich die Mühe mit den Aliens und den technischen Details machen, wenn man letztendlich nur eine weitere religiöse Vision von Erlösung produziert?
Ist es überhaupt sinnvoll, die Sehnsucht nach Aufhebung des Für-sich-Seins, das ja eigentlich ein Problem des Individuums ist, auf eine ganze Spezies zu übertragen?

Um Missverständnissen vorzubeugen: „Childhood’s End“ ist sprachlich und erzählerisch gelungen. Aber ich erwarte von Science Fiction, dass sie technische und sonstige Neuerungen sowie deren Einfluss auf die Gesellschaft/Menschheit/Erde/Galaxie behandelt und sie nicht nur als Handlungselemente einsetzt, um eine alte religiöse Fabel zu erzählen.

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